16. Feb. 20

Sonntagmorgen, viel zu spät aufgestanden.

Im Deutschlandfunk läuft Kakadu. Heute rufen Kinder in der Sendung an und erzählen, was sie werden wollen. Schönster Wunsch: Taucherin. „Wo würdest du tauchen?“ fragt der Moderator. „Im Meer“, antwortet das Mädchen klipp und klar. „Was würdest du da machen?“ „Ich würde Menschen retten und Fische gucken.“

In der FAS ein Artikel über die Gleichsetzung von Nazisprech und Gendern. Ich verstehe nicht, warum das Thema unter denkenden Menschen noch diskutiert wird. Alle, die ein Gendersternchen mit Nazimethoden gleichsetzen – da ist die Tür. Aber zum entscheidenden Problem findet sich auch in diesem Artikel keine Zeile. Ich kann das jetzt nicht konsistent argumentieren. Darum kurz, pöbelig, ungenau: Nazis haben riesige Freude, dabei zuzusehen, wie bei ihren Feinden, also uns, Wort und Tat völlig auseinanderfliegen. Noch ungenauer: Sprachliche Sichtbarmachung ungleich praktische, vor Ort gelebte Solidarität. Dazu ein (bisschen bequemes) Beispiel: Viele meiner Studis sind zehnmal wacher, als ich es war/bin, was die Gewalttätigkeit von Sprache angeht. Aber sich organisieren…say what? In dieser Stadt koexistieren Critical Whiteness Seminare mit der Mohren-Apotheke, der Faschingsgesellschaft Mohrenwäscher e.V., der Gaststätte Mohren-Bräu, der Mohrenstube, der Faschotruppe Thessalia zu Prag und dem Führungskader der Jungen Alternative Bayerns harmonisch.

Starke Böen im Kopf, raus hier, Fernglas einpacken und Rotmilane suchen. Laut der Deutschen Wildtier Stiftung überwintern mittlerweile 1000-1200 Tiere in Deutschland. Vielleicht ist der Rotmilan (Männchen, Weibchen?), dem ich letztes Jahr wie ein kleiner Junge mit dem Fahrrad hinterher gefahren bin, hier geblieben. Die Chancen stehen bei ~ 3,333%.

15. Feb. 20

Überraschend viele, angenehm dreinschauende Menschen in Kulmbach. Schön auch, als das Rahmenprogramm beginnt, dreht sich über die Hälfte von der Bühne weg und geht über den Platz in Richtung der Halle, in der Höcke sprechen wird. Die Redefetzen, die der Wind herüberweht, sagen wieso: Da ist von „allen Demokraten“ zu hören, von der „Zivilgesellschaft“ und „unserer Gesellschaft“ und so weiter. Es sagt halt nur keiner, was das heißen soll. Später bildet sich eine Menschenkette, die den gesamten Platz umschließt und die Kirchenglocken läuten von 19.33 bis 19.45 Uhr. Ein Mann steht hinter dem Mikrofon, er zählt: Neunzehnhundertdreiunddreißig. Neunzehnhundert…Aber eben auch überall Menschen, die aussehen, als hätte es so etwas wie Gewerkschaften, Katholische Arbeitervereine und Fränkische Anarchisten wirklich mal gegeben. Und das Schönste: Viele lachen. Das vermisse ich ja eigentlich immer auf Demos. Diese Mischung aus Freude darüber, unbekannte Gesichter zu sehen, die einen solidarisch und schelmisch anlächeln (bei denen man sich vorstellen kann, wie sie später am Tresen sitzen, eine Halbe vor sich, mit schiefem Blick übers Glas gucken und sagen „solidarisch und schelmisch, soso, so geht des fei ned“ und dann nicht mehr aufhören zu lachen und zu waafen) und der Ahnung, wenn es hier ein bisschen ungemütlich wird, bleiben die alle seelenruhig. Ich bin dagegen immer etwas zu aufgekratzt und zu abgeklärt bei solchen Veranstaltungen. Ich denke gerne, es ist die angemessene (körperliche) Reaktion auf dieses routinierte, erstarrte Protestgebaren, dass in seiner Freudlosigkeit und Konsequenzlosigkeit so hart deutsch ist, aber das ist mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nur ein Teil der Wahrheit. Als wir den Abend schon fast abgehakt hatten, standen C. und ich in einer dunklen, gepflasterten Gasse und sahen den Höcke-Konvoi auf uns zu rasen. Ich machte einen Schritt auf die Fahrbahn, war aber zu feige, mich einfach in den Weg zu stellen. (Die hätten mich ja nicht über den Haufen fahren können. Höcke ist ja kein Staatsgast, die Personenschützer des LKA kein Secret Service, oder?) Der erste Wagen blendete auf, fuhr ziemlich knapp an mir vorbei. Ein SUV oder Range Rover oder Urban Jeep, wie auch immer diese durchgeschossenen Panzer heißen, machte einen größeren Bogen. C. fragte später, ob ich die Typen in den Autos gesehen hätte? Hatte ich nicht. Es ging alles zu schnell. Es war eine lächerliche Szene, aber sie lässt mich auch am Morgen danach nicht los. Als ich den Windzug der Wagen spüre, macht das Kopfkino klick: Staatsapparate, Legalität, Lager. Als wäre das alles ein fucking Film.

13. Feb. 20

Lese Altenburgs Geisterbahn und werde das erste Mal seit Wochen ruhiger. Wie sehr ich dieses grundlegende Einverständnis vermisst habe. Wie sehr mich Altenburgs Sätze darin bestärken, dass die Entscheidung richtig ist (mehr dazu irgendwann). Einzig T. packt mich und zieht mich aus dem Schlammassel. Aber sie sitzt hunderte Kilometer entfernt und versteht selbst nicht, was das sein soll: Universität? Wissen? Neugier? Leben? Zukunft? Das Jahr fing scheiße an. Kaum war ich aus Amsterdam zurück, erwischte mich eine heftige Erkältung. Wobei ich immer noch glaube, es war der vegane McDonalds Burger, den ich mir geholt hatte, weil ich keinen Bock auf Tankstellenpizza hatte und alle anderen Läden schon zu waren, als ich endlich in Bitchtown (Bezeichnung für BT, Ursprung vermutlich fränkische Hip Hop Szene, ca. Anfang 2000er Jahre) angekommen war. Ich sah den Typen, der ihn zubereitete und ich kann auch fast einen Monat später nicht sagen, warum ich den Burger gegessen habe. Aber auch wenn es Schwachsinn ist, dass alles seine guten Seiten hat, die zwei Wochen krank zuhause verbrachte ich mit Büchern. Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig ich kenne, wie viel ich nicht gelesen habe. Im Ernst, wie kann es sein, von Altenburg keine Ahnung zu haben, zu einer Zeit, in der es darum geht, in welche Richtung es geht? Also mit sagen wir mal: siebzehn. Wie auch immer: Partisanen der Schönheit, Die Liebe der Menschenfresser, Landschaft mit Wölfen, Die Toten von Laroque, Irgendwie alles Sex und eben Geisterbahn. Krass, wie gut das tut. In der letzten Sitzung des Marcuse-Seminars, das ich dieses Wintersemester anbiete, folgende Passage aus Geisterbahn vorgelesen: „Über ein paar Dinge ist ein vernünftiges Gespräch mit mir nicht zu führen: 1. Selbst für möglicherweise berechtigte Kritik an der israelischen Regierung fühle ich mich nicht zuständig. 2. Obwohl kein Pazifist mehr, gibt es kein Argument, dass mich davon überzeugen kann, Auslandseinsätze der Bundeswehr seien akzeptabel. Allein die Existenz eines deutschen Heeres, ja, eines unabhängigen deutschen Staates ist mir nicht geheuer. 3. Dass der Kapitalismus eine historische Errungenschaft ist, habe ich begriffen. Dass er das letzte Wort haben soll, wird mir niemand einsichtig machen können.“ (Altenburg 2012: 267) Wie sooft in Seminaren schauten mich die Studis an, als wäre ich ein seltsamer, alter Kauz. Und dann immer die Standardeinstellung, sorry, die Einzigen, die hier alt und seltsam sind, seid halt leider ihr. Wie alt so ein Gedanke, wie seltsam. Einzig gangbarer Weg wider die Standardeinstellung, die Langeweile, die eigene Grauheit und die der Welt: Lesen, Schreiben, (zu und mit T.) reisen, schönes Zeug machen. Jetzt aber erst mal: Raus in den Schneeregen, Maul aufreißen, durch Matsch und über Hügel rennen, bis das Herz bis zum Hals schlägt.

vortragsnotizen

hätte ich geld
würde ich dann hier rumsitzen
und auf hinterköpfe starren?

sehen – hören – tasten – schmecken – riechen
den mensch nicht objektivieren
fuck off

arbeitsgruppe
wege aus der entfremdung
where to go: straight into hell?

ist der mensch nicht auch in seiner destruktivität lebendig?

keine häppchen, kein orangensaft

without

der verlust schreibt sich ein
in den körper
du gehst anders
und wenn du schlafen kannst
schläfst du anders
und fragen, die alle anderen beschäftigen
sind dir scheißegal
du hast keine zeit mehr
für verhältnisse
die seit seinem tod
aufgehoben sind

22. Mai 19

In den letzten Tagen habe ich viel über Pokémons gelernt. In den letzten Tagen habe ich viel über Menschen gelernt. An guten Tagen ist da wirklich der Glaube, ein Text könne den Lauf der Dinge verändern. An den restlichen Tagen kommt mir das Kotzen und die Leere schlägt um sich. In den Akten, die ich für meine Forschung durcharbeite, springen Menschen anderen Menschen auf den Köpfen rum. Die Täter waren zumeist zuvor nie gewalttätig. Ich beobachte Zufallsbegegnungen, in denen sich etwas bahnbricht, das seit Jahrzehnten schlummert. Alle sagen „man“.