Im Deutschlandfunk spricht eine Juniorprofessorin für (?) über das Corona Virus und die Beschränkung sozialer Kontakte. Sie muss an einer Arbeit über zufällige soziale Begegnungen in Städten sitzen, denn egal was die Moderatorin fragt, die Wissenschaftlerin landet zielsicher dort. Zielsicher umgeht sie dabei die wirklichen Probleme, vor denen Menschen in den kommenden Tagen/Wochen stehen werden. Es geht nicht um das Wegbrechen der zufälligen sozialen Begegnungen. Was vielen Menschen zu schaffen machen wird, ist das Wegbrechen von Routinen und beständigen sozialen Kontakten. Die meisten Menschen gehen tagein, tagaus ‚ihrer‘ (wenn auch entfremdeten) Arbeit nach, sie gehen zu ‚ihrem‘ Bäcker, zu ‚ihrem‘ Metzger‘, in ‚ihren‘ Super- oder dm-Markt, nachmittags sitzen sie in ‚ihrem‘ Café, abends in ‚ihre‘ Kneipe. Sie treffen dort auf Menschen, die sie zu kennen glauben, sie sagen das, was sie auch in der Woche zuvor und der davor gesagt haben, über das Wetter, den Straßenverkehr, Gott und die Welt, sie machen im entspanntesten Sinne Smalltalk, sie tratschen, beschweren sich, reißen sauschönblöde Witze. All das braucht einen gemeinsamen Grund, eine Konsensfiktion, wie unterstellt diese auch immer sein mag. Man kennt sich eben. Darum bleiben Menschen in ‚ihrer‘ Stadt und in ‚ihrem‘ Viertel. Darum experimentieren sie nicht permanent rum. In einer Zeit, in der alles durcheinander geht (oder anders formuliert: alles Bestehende längst verdampft ist), in der viele Menschen nach der Arbeit – by the way: in der immer mehr abgetrennt von ihren Kolleginnen und Kollegen irgendwas Bedeutungsloses vor sich hin tun (siehe oben) – alleine oder mit Kater Chapeau und Hündin Princess auf ihrer Couch liegen, in der Beziehungen von Therapeuten zuallererst als Bindungen denunziert werden (zu Recht, zu Unrecht, nicht mein Thema gerade), in denen soziale Medien ihr Freiheitsversprechen verlieren und zur Vereinsamung beitragen (eindimensional, I know), halten sich sehr viele Menschen an wiederkehrenden alltäglichen Begegnungen fest, wie oberflächlich diese auch seien mögen. Das versteht die Juniorprofessorin aber nicht. Vielleicht lebt sie anders. Unter Strom, auf der Jagd nach dem Zufall und der Schönheit des Unbekannten. Was ja null verkehrt wäre. So würde sie halt ab und an ihr Leben mit dem der anderen verwechseln. Das passiert uns allen sehr häufig, nur schreiben die wenigsten Studien darüber. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie eben das tut, was Juniorprofessor*innen heute so tun: Am Puls der Theoriebildung ein Paper nach dem anderen produzieren, dass nichts, aber auch gar nichts mit den Lebenswirklichkeiten der meisten Menschen zu tun hat.
Und so lese ich – was ein Zufall – weiter in Uslars Buch. Er sieht das, was Juniorprofessor*innen nicht sehen. Er hadert in diesem zweiten Versuch, Zehdenick und die Menschen dort zu blicken, mehr mit sich, mit dem Standpunkt, von dem aus er guckt, denkt, schreibt. Es scheint, als habe er Manja Präkels völlig berechtigte Kritik, auch wenn sie recht blöd vorgebracht wurde, ernstgenommen. Er ‚kann‘ halt mit Ex-Nazis, Möchtegern-Schlägern, die schon auch mal zuschlagen, Kleinstadtfaschos, die – wie sollte es denn anders sein – auch zärtlich, in ganz banalen Dingen verunsichert, ja ‚menschlich‘ sind, sprechen. Er kann das, weil er ein weißer, deutscher Mann ist. Ja, klar (Uslar Voice). Sollte er deshalb, weil er es kann, weil er ein weißer, deutscher Mann ist, nicht mit ihnen sprechen? Das entscheidet einzig der Text. Und der Text sagt: Nein, verdammt nochmal, er soll, ja muss mit ihnen sprechen. Der Text ist widersprüchlich, offen, kaputt und in den richtigen Momenten glasklar. Da stehen so viel mehr wahre als falsche Sätze. Ich lese mich fest, vergesse, hier auf dem Balkon unter der keinen Augenblick furchterregenden, sondern absolut (Uslar Voice) notwendigen Sonne, dass seit Monaten kein Licht da war. Später, als ich mit rotem Kopf über den Parkplatz des Supermarkts laufe, schauen mich die Menschen verängstigt an und gehen mir aus dem Weg: Der muss ja Corona haben, so rot wie dem sei` Kopf ist. Und ich will einfach nur auf die Sonne zeigen und sie alle umarmen.
Notiz: Nie schreiben wie Juniorprofessor*innen. Anders hinschauen, anders zuhören, anders denken, anders arbeiten. Aber wie macht man das? Geht das überhaupt, eine Dissertation zu schreiben, deren Sprache nach Altenburg und Kuhlbrodt klingt – und die dann sogar von einer Fakultät angenommen wird? Oder sich besser gleich eingestehen, dass es nicht geht und einen auf ‚Lüscher machen‘ (oder: es wenigstens versuchen, bevor vor die Hunde zu gehen etc. pp.)?