Jung, brutal, gutaussehend
Editorische Ergänzungen
Ich kenne die Diskografie von Farid Bang und Kollegah nur bedingt. Ich weiß, dass beide sehr viel Wert auf ihre Körper legen. Es wäre ein Leichtes, ihre aufopferungsvolle Arbeit am eigenen Körper ins Lächerliche zu ziehen. Die Sätze und Zwischenüberschriften schrieben sich schnell: Blut, Schweiß und Eiweiß. Auch spritzige Analogien etwa zur Orgienszene aus Wladimir Sorokins Roman „Der Tag des Opritschniks“ wären schnell gezogen. Sarkastische Zeilen voller Verachtung. Ich spiele dieses Spiel aber nicht mit. Die Namen Farid Bang und Kollegah fallen an dieser Stelle zum vorletzten Mal. Alle kennen sie. Sie sind es aber nicht wert, genannt zu werden. Mögen die beiden im Dschahannam die ihnen zustehende Etage bewohnen.
Diese Stimmen kennt hingegen im sehr deutschen Deutschrap niemand (mehr). Es ist nur eine kleine Auswahl. Lest und versteht und kauft nie wieder ein Produkt der Verachtung.
„Unterernährung, Entkleidung und andere körperliche Unbilden, die so leicht und billig zu erzeugen sind und deren Erzeugung die Nazis Meister waren, wirken rasch zerstörend, und noch bevor sie zerstören, lähmen sie; und das umso mehr, wenn ihnen Jahre der Absonderung, der Demütigungen, der Misshandlungen, der Deportationen, des Abbruchs familiärer Bande und aller Beziehungen mit der Außenwelt vorausgegangen sind.“
Primo Levi, Die Untergegangenen und Geretteten. Levi war von Februar 1944 bis Januar 1945 in Auschwitz inhaftiert.
„Klar ist jedenfalls, dass die ganze Frage der Wirkung des Geistes dort nicht mehr gestellt werden kann, wo das Subjekt, unmittelbar vor dem Hunger- und Erschöpfungstod stehend, nicht nur entgeistet, sondern im eigentlichen Wortsinn entmenscht ist.
Jean Améry, Jenseits von Schuld und Sühne. Améry war von 1944 bis 1945 in den nationalsozialistischen Zwangslagern Auschwitz, Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen inhaftiert.
„Die im Konzentrationslager herrschenden Bedingungen hatten so verheerende Auswirkungen auf den Organismus der Häftlinge, dass diese die Fähigkeit verloren, noch schnell reagieren zu können. Der hygienische Zustand des Konzentrationslagers und das Fehlen der elementaren sanitären Einrichtungen (sowie überhaupt der Wassermangel) machten die Einhaltung der elementarsten Grundsätze der Hygiene unmöglich.“
Anna Pawełczyńska, Werte gegen Gewalt. Pawełczyńska war vom Mai 1943 bis Oktober 1944 in Auschwitz inhaftiert und wurde dann in ein Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg überstellt.
„Das schlimmste war, dass ich ständig hungrig herumlief. In meinem Bauch rumorte es. Der Körper brauchte mehr Nahrung. Leider war die nirgends zu bekommen.“
Tadeusz Sobolewicz, Aus der Hölle zurück. Sobolewicz wurde zuerst in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert, später wurde er ins Konzentrationslager Buchenwald und dann ins Konzentrationslager Flossenbürg überstellt, von wo aus er wiederum in kleinere Außenlager verlegt wurde.
„Schacht und Baukommando Buchenwald, Frühjahr 1944. Eine Kolonne von Juden und Polen verrichtet unter persönlicher Aufsicht des SS-Bauführers Erdarbeiten auf steinigem Grund – auch für kräftige Menschen keine geringe Leistung, für abgemagerte ausgehungerte Wracks beinahe unmöglich. Nur die Angst treibt zur äußersten Kraftanstrengung an. Und die Angst ist mehr als berechtigt: Der Bauführer erspäht zwei Juden, deren Kräfte schwinden. Er geht hin und erteilt einem Polen (Strzaska war sein Name) den Befehl, die beiden, die sich kaum mehr auf den Beinen halten können, einzugraben. Der Pole erstarrt – und weigert sich. Daraufhin nimmt der Scharführer einen Schaufelstiel, prügelt den Polen und veranlasst ihn, an der Stelle der zwei Juden sich in eine der Gruben zu legen. Dann zwingt er die Juden, den andren mit Erde zu überschütten, was sie in Todesangst und in der Hoffnung, selbst dem grausigen Schicksal entgehen zu können, tun. Als von dem Polen nur noch der Kopf sichtbar ist, befiehlt der SSler ‚Halt!‘. Er lässt den Mann wieder heraus buddeln. Nun müssen sich die beiden Juden in die Grube legen, und Strzaska erhält erneut den Befehl, sie mit Erde zuzuschütten. Langsam füllt sich die Grube. Als sie endlich voll ist, trampelt der Bauführer lachend selber die Erde über den beiden Opfern fest. Alle anderen Häftlinge arbeiten währenddessen ununterbrochen wie toll weiter, um der Bestie nur um Gotteswillen in keine Weise ‚aufzufallen‘ und nicht etwa ihren Blick auf sich zu lenken. Fünf Minuten später werden zwei von ihnen gerufen; sie müssen die Eingegrabenen sofort wieder frei freilegen. Die Schaufeln fliegen, vielleicht sind die Kameraden noch zu retten. Einem der beiden Juden wird in der Hast des Grabens durch eine Schaufel das Gesicht aufgerissen, aber er ist schon tot. Der andere gibt schwache Lebenszeichen von sich. Darauf der Befehl des SS-Mannes: beide zum Krematorium zu bringen.“
Eugen Kogon, Der SS-Staat. Kogon war von 1939 bis 1945 in Buchenwald inhaftiert.
„Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen.“
Farid Bang & Kollegah, 0815.