06.09.2024
In Lahore saßen fünfköpfige Familien auf einem klapprigen Motorrad. Das kleinste Kind war wenige Wochen alt. Die Mutter hielt es mit der linken Hand an ihre Brust gedrückt und schob mit der rechten Hand eine Strähne unter ihr Kopftuch. Drei Jungs saßen lachend zwischen Lenker und Vater. Autos hupten, Männer gestikulierten wild. Am Straßenrand lagen Menschen auf Pappe. Die Sonne leuchtete golden zwischen den Brückenpfeilern. Immer wenn ich dachte, jetzt kracht es, krachte es nicht. Tödlich waren die Straßen außerhalb der Städte. Ein LKW, dessen Bremsen versagten, raste in eine Zeltansammlung in einer Senke. Ein Bus rammte einen Kleinbus. Autos wurden auf dem Karakoram Highway von Felsbrocken in die Tiefe gerissen. In den großen Städten – in Islamabad, in Lahore, in Karachi – herrschte ein einziges Durcheinander, die Leute fluchten und beschimpften sich, aber sie fuhren sich nicht über den Haufen. Es gab eine unsichtbare Ordnung, deren Grundlage war, dass man die anderen im Blick hatte.
In Hamburg ist das nicht so. Hier fahren die Leute, als würden sie an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden. Das gilt für Autofahrer und Radfahrer gleichermaßen. Gestern hat mich eine Frau auf einem Elektrorad überholt, ich schaute erschreckt nach hinten, weil ich dachte, der Teufel sei hinter ihr her. Am Tag zuvor hetzten mich die breiten Reifen eines Fatbikes über eine gepflasterte Seitenstraße. Der Fahrer hatte norddeutsche Wangenknochen und trug eine verspiegelte Sonnenbrille. Am Tag davor hat ein Mercedes einen Lieferandofahrer nur deswegen nicht überfahren, weil der Lieferandofahrer seinen Blick gerade noch rechtzeitig von Google Maps löste und ausweichen konnte.
Und heute habe ich einen Kinderwagen gesehen, der sich kaum noch von einem gepanzerten Fahrzeug unterschied. Ab 2035 werden sie serienmäßig mit einem Maschinengewehr mit automatischer Zielerfassung ausgestattet sein.