26. Mrz. 20
In Dorothea Dieckmanns Buch Kinder greifen zur Gewalt findet sich eine Passage, die, obwohl sie um ein anderes (?) Problem kreist, den Zustand der deutschen Linken, beschreibt: „Zwischen den Markierungen gähnen Abgründe, aber heutzutage ist man ein guter Springer, man probiert alles aus und bildet Gruppen und Gruppenableger und Mischgruppen, ihre Anzahl geht gegen unendlich, die Gruppenstärke Richtung eins“ (1994, S. 72). Sofort muss ich an C. denken, wie er mir von Demos erzählt, in denen Grüppchen, die ihre ach so unverwechselbare Suppe kochen, Seit an Seit laufen, ohne ein Lächeln über den Tellerrand, das verbinden könnte.
Ob sich dieselben Fragen nach Corona anders stellen? Wird es eine Lücke geben, durch die Wind dringt und Gewissheiten aufwirbelt? Oder kommt es zur handelsüblichen Verhärtung des Dings, das wir noch immer gewohnt sind, Herz zu nennen?
In einem der Gärten, die ich von meinem Schreibtisch aus sehen kann, stutzt ein Mann eine Hecke mit einer Akkuheckenschere. Er hält inne und redet mit dem Gewächs. Mich überrascht nicht, dass er das tut. Mich überrascht, aber auch eher schulterzuckend, dass es mich schon gar nicht mehr überrascht. Dann sehe ich, dass eine Frau auf der Terrasse steht und gestikuliert. Ich frage mich, was Mann und Frau, die von beiden Seiten auf die Hecke einreden, zu ihr sagen: Wie gut Dir der neue Look steht! Oder: Jetzt schaust Du endlich wieder wie eine Hecke aus. Oder: Sei doch nicht so, sind doch nur ein paar Ästchen.
Plötzlich lachen der Mann und die Frau los, was mich aus der Bahn schießt. Es könnte ja wirklich sein, dass die beiden gerade Spaß miteinander haben und, nachdem sie noch das Unkraut aus den Ritzen zwischen den Pflastersteinen entfernt haben, erfüllt und glücklich übereinander herfallen.
Vielleicht wird es nach Corona auch darum gehen müssen, dem Gegenüber etwas anderes zu unterstellen als sein Deutsch-Sein, seine Marktförmigkeit, seine Abgelebtheit.
Aber wie macht man das? Wie stellt man Fragen, die Fragen sind und keine Pseudo-Fragen? Kurz: Wie denkt, spricht, schreibt man weniger Scheiß?*
And: Who the fuck is ‚man‘?
* Noch dazu unter erschwerten Bedingungen, die nur bedingt auf Corona zurückzuführen sind: „Polizeieinsatz wegen Klopapier: Kundin setzt sich auf Kassenband“ (GMX); „Till Schweiger ist wütend“ (GMX) …