21. Mrz. 20
Einen Gedanken niederzuschreiben und zu veröffentlichen, bedeutet ihn loszulassen. Das ist einer der Gründe, warum ich den Blog führe. Der im Kopf hin und her pendelnde, nicht-ausformulierte Gedanke fühlt sich schlüssiger an, als er ist. Seine Ungenauigkeit und Eindimensionalität fallen nicht auf, da sie in einer ständigen Bewegung hinterfragt, korrigiert und somit verleugnet werden können.
Seit gestern quäle ich mich mit der Passage herum, in der ich versucht habe, Wohlstandskopf und Vorstellungskraft aufeinander zu beziehen. Es geht um eine Frage, die ich mir seit Jahren stelle. Die ich, wenn ich joggen gehe oder durch Gassen laufe, mit mir selbst ausdiskutiere. Alle Elemente scheinen da, greifbar und leicht anzuordnen, aber wenn ich versuche, das Gedachte auszuformulieren, fliege ich auf die Fresse. Der Gedanke hat folgende Koordinaten: Die anthropologische Konstante der ‚Uferlosigkeit der Vorstellungskraft‘ (Popitz), die sich durch Digitalisierung und ‚virtuelle Welt‘ verschiebt; das überall zu beobachtende Chaos in den Köpfen, dessen Ursprung in der Auflösung konkreter, d. h. begrenzender und befreiender Sozialität zu suchen zu sein scheint (irgendwie Durkheim, aber auch nicht); und so seltsame Ideen wie Gewissen, Seele, Mitmensch und Menschheit.
Aber schon nach diesen wenigen Zeilen spüre ich das alte Unbehagen. Ich ahne, dass ich mich der Frage nicht mithilfe von Erklärungen nähern werde, sondern durch das Beobachten und Beschreibungen von, ja von was? Ich mag den Begriff der Lebenswirklichkeiten. Aber auch der trifft es nur so halb.
Es hat Ewigkeiten gedauert, bis ich einigermaßen verstanden habe, warum mich manche Texte packen und andere kalt lassen. Wie schwer es ist, eine Form und einen Rhythmus für das Nebeneinander von Traurigkeit und Freude zu finden. Für das Widersprüchliche. Für den unumkehrbaren Prozess einer Verrücktwerdung. Für die vielfältigen, krass schönen Versuche, sich dem Schwachsinn und der Gesamtscheiße nicht zu beugen.
Darum geht es.