20. Mrz. 20
Der Versuch, irgendetwas analytisch Kluges zu der jeden Tag gespenstischer werdenden Stimmung zu schreiben, misslingt. So nur unzusammenhängende, miteinander zu tun habende Beobachtungen und Gedanken der letzten Tage:
Es ist, als könnte man den Menschen, die einem im Supermarkt, im Tankstellenshop, beim Bäcker, auf der Straße über den Weg laufen, durch die Körperhülle hindurch bis zu der Stelle blicken, an der die Einsamkeit sitzt.
Das Gespräch mit dem Bruder, die E-Mail des kommunistischen Freunds, die SMS des Freunds, der einer der drei, vier Leser des Blogs ist, die Nähe Ts., die auf dem Balkon sitzt und arbeitet, rücken die Kopfscheiße zurecht.
Der Wohlstandskopf kriegt die Situation sortiert – klar, da ist die Angst um konkrete Menschen, aber keine Panik –, bis die Vorstellungskraft ein wenig in die Zukunft und nach Lesbos, in die Slums von Nairobi, Manila, Caracas oder die Flüchtlingslager an der türkisch-syrischen, syrisch-libanesischen Grenze reicht. (Oder jetzt nach Bergamo, in den Iran…) Dann: Was für ein brutaler Luxus ein Begriff wie Vorstellungskraft sein kann. Und: Als wäre das Leben in einem Slum oder einem Flüchtlingscamp ohne Corona top. Wie viel ich mir vorstelle und wie wenig ich denke.
Heftig auch, wie direkt aufeinanderfolgende Einkäufe, erst bei Aldi, dann in Denns Biomarkt, vor Augen führen, wie Kapitalismus und Risikogruppe zusammenhängen.
Und (trotz alle dem oder gerade deswegen): Die Routinen des Runterkommens und der Hoffnung bleiben auch in diesen Tagen unangetastet.
Routine Nr. 1: Der Versuch am Morgen keinen Scheiß zu lesen. Ich lese ein Interview mit Altenburg und bin sofort dort, wo es sinnvoll ist. Zu Jünger spricht Altenburg das aus, was ich als Gulasch im Kopf habe, wenn ich Carl Schmitt lese: „Kalte Virtuosen interessieren mich nicht. Sie sind meist feige. Sie treten mal als Zirkuspudel, mal als Pitbull auf, finden den Beifall der Saison, bewegen aber nichts, weil sie selbst unbeweglich sind. Wer keinen Mut hat, sich öffentlich zu irren, bringt selten mehr zustande als Artistik. Auch Krieger können feige sein. Und der Neandertaler mit Abitur ist kein ganz seltener Typus“ (Irgendwie alles Sex, S. 24). Bisschen blöd allerdings, dass der Beifall der Saison in diesem Land saisonunabhängig ist.
Routine Nr. 2: Die eigene Ahnungslosigkeit angehen; inkl. dem nahezu körperlichen Zwang, die Entdeckungen, zumeist Gedicht-, Foto- und Bildbände besitzen zu müssen. Ich checke Paul Holdengrabers Twitter Account. Dort stoße ich auf ein Zitat Lewis Baltz`: „It might be more useful, if not necessarily more true, to think of photography as a narrow, deep area between the novel and film.” Aha, wer ist das? Shit, kein gerade bezahlbarer Fotoband bei medimops oder rebuy zu finden. Kopfloses Weiterklicken, bis ich im Ordner mit den Nikon-Fotos lande. Die kaum überraschende Erkenntnis: Die Fotos bleiben auch dann noch unterbelichtet, wenn sie sich in den Datentiefen des Laptops aufzulösen beginnen.
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a narrow, deep area?