17. Mrz. 20

Kurz vor dem Noch-Nicht-Ganz-Lockdown arbeitet die ‚Maschine‘ im Fotoladen wieder. Der Chef ruft mich an und sagt: „Wir haben da was für Sie fertig.“ Sofort auf das Rad, Negative und CD abholen, aber bereits das Gesicht des Altmeisters sagt: Dieses Mal – eher nicht so gut. (Beim letzten Mal hatte er gesagt: „Ich habe schon lange nicht mehr einen so gut belichteten Film zu Gesicht bekommen. Sie können stolz auf sich sein!“ Und ich war so stolz, wie seit Fußballtagen nicht mehr.) Er ist aber zu höflich, um auszusprechen, was sein Gesicht verrät. Zuhause angekommen schaue ich die Fotos durch. Die Hälfe der Bilder ist unterbelichtet. Es war der erste Film, den ich mit dem neuen, gebrauchten FM-Body und dem neuen, gebrauchten Nikkor 50mm verschossen habe. Vor allem bei Landschaftsaufnahmen mit viel Himmel, Wolken und Weite arbeiten Lichtmesser und mein Kopf überhaupt nicht gut zusammen. Ein Foto hat aber gerade durch den Belichtungsfehler Kraft, zwei, drei andere gehen klar. Magere Ausbeute, sofort niedergeschlagen, aber nur ganz kurz, weil T. mittlerweile da (sie konnte von surrealen Zugfahrtszenen berichten) und draußen plötzlich Sonne und Wärme und recht unterhaltsame Vögel weiterhin. Wie in den Jahren zuvor ziehen pubertierende Eichelhäher von Baum zu Baum zu Baum. Das Gefühl, die Jungtiere sind jedes Jahr größer, aber das kann ja eigentlich nicht sein. Jetzt bloß keine Gerüchte über Veränderungen des Körperbaus von Eichelhähern im Zeitverlauf posten, sonst geht der Wahnsinn durch die Decke.

Gestern vor Lidl labbert eine völlig verwirrte Person eine Bettlerin voll: „Ich will ja nur helfen, ich komm ja auch von woanders her, aber irgendwann reicht es auch mal, wenn du nicht gleich von hier verschwindest, kommt die Polizei und holt dich ab, was bettelst du denn hier, jetzt mit dem Virus, das gibt`s doch gar nicht, auch in Deutschland haben die Leute nix, jetzt mit dem Virus, aber ich meine es ja nur gut, weil gleich kommt die Polizei und weg biste, nix mehr bettel, bettel, verschwinde jetzt…“ Ich stehe unschlüssig rum, kann mich nicht entscheiden, ob ich der Verrückten was entgegen spucken soll, weil das ja oft Spiritus für so undefinierbare Halbpsychosen ist und dann macht es erst recht Puff, bedrohlich ist die Situation für die Bettlerin auch nicht, sie guckt eher spöttisch, ich entscheide mich also dagegen und für was anderes, bringe den Einkaufswagen weg, lächele die Bettlerin an, stecke ihr einen Fünfer zu, sie lacht breit und ruft laut aus: „Familia!“ und dann streckt sie der Verrückten die Zunge raus und hält den Fünfer in die Luft. Die Verrückte ist aber zu weit weg, sie malträtiert mittlerweile eine Rentnerin: „Ich wähl keine AfD, nein, nein, aber hier betteln, das geht doch nicht, der Virus…“ Ich schaue über die Schulter uns sehe nur noch, wie die Rentnerin sich an der geöffneten Autotür festhält.

peace, love & pyramids

Abgelegt unter: — 18.03.2020