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»Er [Ken Schels, Anm. d. Verf.] fragte nicht, wie andere fotografierten, sondern versuchte anhand des eigenen Werks aus dreißig Jahren zu ergründen, welche Einflüsse seine Sicht auf die Welt bestimmt haben.«
Freddy Langer über Ken Shels‘, A New History of Photography, S.144
Ich werfe eine Münze: Bei Zahl »foot in the door«, bei Kopf »door in the face«. Kopf.
Wann haut ein Buch eine/n um?
Ein paar Vorschläge: Wenn die Beobachtungs- und Beschreibungsfähigkeit des Autors für die Widersprüche des Lebens empfindsam macht. Wenn die Autorin in einer Sprache schreibt, die präzise, aber nicht hermetisch ist. Wenn da ein Schreibenmüssens im Text steckt, das sich aus so verschiedenen Quellen wie Verdruss und Neugier, aus Gesellschaftsekel und Menschenzugewandheit, aus Verzweiflung und Hoffnung speisen kann. Wenn das Buch zu anderen Autor:innen und anderen Büchern führt. Und wenn es uns auch noch nach Jahren umhauen wird. All das gilt – auch wenn ich hinsichtlich des letzten Punktes nur eine totsichere Vorhersage treffen kann – für Freddy Langers »Harte Blicke, stille Städte und ein Fotograf, der zur Rakete wird« (Steidl Verlag, 2023), eine Sammlung von einhundertdreißig Besprechungen von Fotobüchern, die der Autor in der Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlicht hat.
Zwar hoffe ich, dass die Begeisterung, die im ersten Absatz steckt, Grund genug ist, neugierig auf das Buch zu werden und die Rezension weiter zu lesen. Doch damit Sozialwissenschaftler:innen, deren Lektürebereitschaft sich nach den Anforderungen des Betriebs richtet, an dieser Stelle nicht abbrechen, ein kleiner Teaser: Freddy Langer stellt in seinen Besprechungen eine analoge Frage, die Raymond Geuss in seinem Buch »Nicht wie ein Liberaler denken« aufwirft: Was ist das autobiographische Element der Arbeit und wie wirkt es sich in ihr aus? In der Suche nach Fragen und Gegenständen, in den methodischen wie theoretischen Zugängen.[1]
Auch Howard S. Becker wirft am Ende seines Textes »Sociology and Photography«[2] die Frage nach der persönlichen Komponente im Tun auf, gibt ihr aber einen anderen Dreh. Becker zeigt in Auseinandersetzung mit zwei Fotografen (Paul Strand/Frank Cancian), wie Stilmittel, die die beiden Fotografen in von ihnen aufgenommen Porträts einsetzten, Aufschluss über die persönliche Komponente ihrer Werke geben. Um dann zu fragen, ob man auf vergleichbare Weise die persönliche Komponente in der soziologischen Arbeit entdecken könne. Becker deutet an, dass uns die Wahl von Adjektiven etwas über diese mitteilen kann. Oder die Mittel, mit denen ein Autor Ironie erzeugt (»Goffman, for instance, often achieves ironic effects by using perspective by incongruity […]«). Es geht Becker also darum, wie in Stilmitteln (»stylistic/expressive devices«) Attitüden, Weltzugänge oder moralische Urteile enthalten sein können (S. 23 f.).
Es ist nun dieser Aspekt der die Lektüre des Buchs Freddy Langers für Sozialwissenschaftler:innen – aber nicht nur für diese, sondern für alle, die in ihrer Arbeit mit der Schwierigkeit konfrontiert sind, der Standortgebundenheit des eigenen Denkens zu begegnen – so interessant macht. Man kann den Band hinsichtlich ganz verschiedener Fragen lesen, aber der Kerngedanke, der die Besprechungen miteinander verbindet, scheint mir darin zu bestehen: Es geht um die Entdeckung der persönlichen Komponente im Werk von Fotograf:innen. Aber eben nicht als eskapistische Spielerei, sondern mit wirklichem Interesse an den Lebenstatsachen und an der Frage, wie sich diese in der Arbeitsweise und dann in den Resultaten, den Fotografien, ausdrücken. Langers Überlegungen lassen dabei auch erahnen, dass es ein Mangel ist, wenn sich nichts Persönliches im fertigen Abzug wiederfindet.
Das Schöne ist, dass Langer eine ethnographische Neugier hat. Er kommt wohl nicht so sehr von Homer, sondern eher von Louis Faurer.[3] Und, wer weiß, vielleicht auch von der Chicago School of Sociology. In der Besprechung des ikonischen Fotobands »Die Amerikaner« von Robert Frank beschreibt Langer, wie der Kontaktbogen Auskunft darüber gibt, wie sich der Fotograf seinen Motiven angenähert hat. »Fast wie ein Schriftsteller«, so Langer über Frank, »mit seinen Formulierungen kämpft, erprobte auch er mal diese, mal jene Vokabel, bis er die gewünschte Präzision erreichte, die angestrebte lyrische Dichte« (S. 133). In vielen der Besprechungen geht es um die persönliche Art der Annäherung von Fotograf:innen an ihre Sujets.
Wenn Langer Helen Levitt[4] mit der Formulierung wiedergibt, »sie sei an den Szenen gewissermaßen vorübergetänzelt« (S. 279), dann entsteht im Kopf sofort eine Verbindung zwischen den Bildern Levitts und ihrer Art sich durch die Stadt zu bewegen. Es gibt kein treffenderes Verb. Levitt tänzelte an den Menschen und Szenen, die sie fotografierte, vorüber. Ich dachte immer, dass die Menschen, oftmals sind es Kinder, auf Levitts Fotografien wirkten, als würden sie tanzen. Aber mit Langer kann die Frage anders gestellt werden: Wie viel davon geht auf Levitts Art sich zu bewegen zurück? Tanzen die Menschen auf ihren Bildern, weil Levitt an ihnen vorübertänzelte?
Ich habe mich zwar damit auseinandergesetzt, wie ich mich als Soziologe körperlich-leiblich durch die soziale Welt bewege (bewegen kann) und welchen Einfluss das darauf hat, wie ich beobachten und mit Menschen in Kontakt kommen kann, aber viel zu wenig damit, dass die Art, wie ich mich bewege, einen Einfluss darauf hat, wie ich schreibe. Dass Helen Levitt an den Szenen vorübertänzelt und nicht etwa an einer Straßenecke auf das richtige Motiv oder das richtige Licht wartet, sieht man ihren Fotografien an. Und was ist mit der eigenen Arbeit? Schreibe ich so, weil ich mich auf eine bestimmte Art bewege? Auch wenn ich hoffe, dass es Passagen in meinen Texten gibt, die auf eine irgendwie wache Art sich durch die soziale Welt zu bewegen verweisen, sind es doch vor allem jene Textpassagen, die träge sind, die etwas über meine Arbeitsweise mitteilen. Oder jene, die verkopft sind. Denn ich sitze zu viel und lese dabei noch zu viel nichtlebendiges Zeug, so dass sich auch innerlich unbeweglich bin. Und das liest man. So wie man vielen Bildern heutiger Straßenfotograf:innen ansieht, dass sie nicht durch die Stadt streunen[5], sondern warten, dass ihnen das Leben vor die Füße fällt. Es heißt, es gäbe Straßenecken in New York, da zanken sich dutzende von ihnen um Motive wie Tauben um ein heruntergefallenes Hotdogbrötchen.
Apropos Metaphern. Freddy Langer hat ein Gespür dafür, wann es sich lohnt, die Fotograf:innen selbst zu Wort kommen zu lassen. Was umso wichtiger ist, weil sich Fotograf:innen, wie wohl die meisten Künstler:innen, um Kopf und Kragen reden, wenn sie ihre Kunst zu erklären versuchen. So zitiert er Nick Meyer, der einen beeindruckenden Fotoband über seine Heimatstadt Greendfield (Massachusetts) veröffentlicht hat, wie folgt: »Wir sind in den Ort eingegraben wie die Risse im Bürgersteig«. Es ist eine Assoziationen lostretende Metapher, die an Andrew Abbotts Verfahren der Lyrischen Soziologie[6] denken lässt, in dem es unter anderem darum geht, wie die emotionale Involviertheit von Autor:innen in den von ihnen untersuchten Gegenstand anschaulich gemacht werden kann. Der Beton, der mit der Zeit, die ungerührt voranschreitet, Risse bekommt. Die Risse, die wie Narben sind, die Menschen an diesem Ort, in den sie eingegraben sind, davongetragen haben. Aber auch: Der Bürgersteig der Kleinstadt, auf dem sie sich begegnen. Wo sie den Kopf heben, lächeln und fragen, wie es dem anderen denn so gehe. Dort, wo sie in den Augen des Gegenübers die eigene Geschichte erkennen. Die Narben, die Risse in der Biographie, über die sie nicht hinwegschlurfen können, ohne zu stolpern.
Und auch hier wirft die Lektüre des Bandes Fragen auf, die die soziologische Arbeit betreffen: Wie bin ich mit dem verbunden, über das ich forsche? Und wie kann ich darüber schreiben, dass meine Empfindung für einen Forschungsgegenstand Grammatiken unterliegt, die mit meiner eigenen Geschichte zu tun haben. Und damit zusammenhängend die Frage: Wie kann ich eine Empfindung, die ich gegenüber einem Forschungsgegenstand habe, für Leser:innen anschaulich machen? Indem ich, im Sinne Abbotts, die eigene Involviertheit anhand von Sprachbildern nachempfindbar mache? Oder ist ein solches Schreiben immer schief, schlimmstenfalls manipulativ? So wie gerade den Fotografien nicht zu trauen ist, in denen ein Fotograf dem Bild das Punctum aufzwingen will.
Wer Langers Besprechungen liest, lernt, nach was Ausschau zu halten ist, um etwas über die persönliche Komponente im (soziologischen) Werk zu erfahren. Das kann die Empfindung für einen Ort sein, an dem wir forschen, ein Ort, der einem Ort gleicht, der sich in uns eingegraben hat. Oder der sich radikal von diesem unterscheidet, was auf eine andere Art zur Selbstkritik des Tuns herausfordert. Das kann die Art sein, wie wir gelernt haben, uns körperlich-leiblich in sozialen Situationen zu bewegen. (Das kann das Herrschaftsverhältnis sein, das dem einen erlaubt sich auf eine bestimmte Art zu bewegen und der anderen nicht.) Das kann aber auch die Technik sein, der wir uns bedienen, um Beobachtungen festzuhalten.
Um den letzten Aspekt konkret zu machen: Ich fotografiere am allerliebsten mit dem Kleinbildfilm Kodak Tri-x. Ich mag die Kornstruktur, und dass er nicht ganz so fein mit Grautönen umgeht, sondern ein auf-die-Fresse-Film ist. Ich schätze den Film besonders mit Konica Hexanon Objektiven. Ilford passt dagegen wundervoll zu Olympus Zuiko Optiken. Und was ist eigentlich mit Brennweiten? Wie verändern diese nicht nur den Bildausschnitt, sondern meine Haltung vor dem Auslösen. Die Art, wie ich Wirklichkeit suche, Wirklichkeit sehe, Wirklichkeit einfangen möchte – das unterscheidet sich alles, je nachdem, ob ich mit einem 24mm, einem 50mm oder einem 90mm Objektiv fotografiere. Und welchen Unterschied macht es eigentlich, wenn ich eine Rangefinder-Kamera oder eine Spiegelreflexkamera nutze? Von der Entscheidung »analog« oder »digital« zu fotografieren ganz zu schweigen. Usw. usf.
Stelle ich mir als Soziologe nun vergleichbare Fragen, wenn es um Größe und Haptik von Notizbüchern geht? Oder ein bisschen weniger nerdig: Wie geht mit der Hand Feldnotizen zu verfassen in den fertigen Text ein? Wie geht ins Handy zu sprechen und die Notizen per Sprachsoftware zu übertragen in den fertigen Text ein? Wie geht in den Text ein, wenn ich Exzerpte, Notizen und Ideen, die ich zwar in einen Laptop getippt habe, ausdrucke, die Seiten mit der Schere zerschneide und sie am Fußboden neu geordnet zusammenklebe? Wie geht in den Text ein, wenn ich mein Material stattdessen mit Citavi sortiere? (Kann sich heute eigentlich irgendjemand vorstellen, eine Dissertation mit der Schreibmaschine zu verfassen?) Bildet sich das alles im veröffentlichten Text ab, so wie die Wahl eines Objektivs in Kombination mit einem Film die Fotografie (mit-)bestimmt? Abzug und Text unterscheiden sich. Aber in beidem wird Wirklichkeit fixiert. Und mehr darüber zu wissen, wie wir warum Wirklichkeit fixieren, kann ja nicht schaden.
Wenn »vorübertänzeln« – zumindest in einer bestimmten Phase ihres Schaffens – das treffende Verb ist, um Helen Levitts Art, sich fotografierend durch die Welt zu bewegen, zu beschreiben, was wäre dann ein treffendes Verb für die Arbeitsweise Everett C. Hughes? Oder für die Theodor W. Adornos? Und was ist mit zeitgenössischen Soziolog:innen? Welches Verb würde uns spontan einleuchten, weil es etwas über den Zusammenhang von persönlicher Komponente der Tätigkeit und veröffentlichtem Text mitteilt?[7] Fallen uns überhaupt welche ein? Und wenn uns das (heute) schwerfällt, was sagt uns das über die Produktionsbedingungen von Wissenschaft, die eigene soziologische Arbeitsweise und deren Resultate: die Texte?
[1] Raymond Geuss, Nicht wie ein Liberaler denken, Frankfurt am Main 2023, S. 30 ff., S. 70ff.
[2] Howard S. Becker, »Sociology and Photography«, in: Studies in the Anthropology of Visual Communication 1.1, (1974), S. 3-26, hier S. 23 f.
[3] Hier eine kurze Passage aus der Besprechung des Fotobands Louis Faurers: »Was David Riesman damals in seiner Studie der einsamen, alleingelassenen Masse ausbreitete, The Lonely Crowd, bündelte Louis Faurer in seinen Bild Essays: die Suche nach Ablenkung und die Angst vor dem Versagen. Immer wieder fand er in der Mimik und Gestik der Menschen Zeichen der Orientierungslosigkeit« (S. 272).
[4] Die Aussage bezieht sich auf Levitts Straßenfotografie, nicht auf die Fotos des Bandes Manhattan Transit, dessen Besprechung in der vorliegenden Sammlung enthalten ist.
[5] Die treffendste Formulierung wäre »to ramble through the city«, aber diese lässt sich auch mit »durch die Stadt streunen« nicht wirklich übersetzen.
[6] Andrew Abbott, »Lyrische Soziologie. Für ein emotionales Erfassen sozialer Momente«, in: ders., Zeit zählt. Grundzüge einer prozessualen Soziologie, Hamburg 2020, S. 191–251.
[7] Der Autor der Rezension freut sich über Vorschläge.
Öffne X, schließe X. Klicke hierhin, klicke dorthin. Freue mich über Declan Rices Tor. Bin müde, ausgelaugt. Zwischendurch große Glückgefühle, dann wieder Matsch. Ich habe einer Kurzgeschichte den Titel „Matsch“ gegeben. Es geht um einen Boxer namens „Matsch“ und um die Frage, was ist wichtig. Ich muss an Kerets letzten Band denken. Nie wirklich im Hier sein. Immer woanders mit dem Hirn, dem Herz. Schau in den Himmel, schau auf die Füße.
Das Bild im Kopf am Sonntagmorgen: Ein Kreisverkehr im Bayreuther Industriegebiet. Ein Mann in einem roter Peugeot fährt an den vier Ausfahrten vorbei. Stundenlang. Er sitzt gestikulierend im Wagen. Er spricht mit sich selbst, Freisprechanlagen waren noch nicht erfunden. Und Handys waren groß wie Holzscheite. Am Himmel jede Stunde ein Flugzeug, vielleicht mal zwei. Nur die Herzen waren schon immer hektisch, unersättlich und leicht aus dem Takt zu bringen. Konkurrenzsubjekte werden niemals ruhig schlafen. Er fährt und fährt und sein Herz pumpt und pumpt dunkelrotes Blut durch eine zittrige Seele.
„… kommunismus ist die unmittelbar auf die not des anderen bezogene handlung, nicht vermittelt durch ein äquivalent. er ist nicht etwas, das weit weg ist. er ist eine summe von verhältnissen (die die dimension einer gesellschaft erreichen kann), und er ist schon heute als eine haltung möglich, eine bestimmte, deutliche haltung, wo zwischen unterdrückerischen methoden und solidarischen zu wählen ist. er ist die entscheidung für das mehr an gleichheit, in der familie, in der produktion usw. (…) in diesen ausweglosen zeiten gewinnt das marxsche wort vom kommunismus als wirklicher bewegung seinen subversiven sinn.“ (Volker Braun, Werktage 1977-1989, S. 489)
Immer wieder auftretende, fast schon manische Objektiv-Haben-will-Phase. Gerade in den Tiefen der chaotischen Zeiss, Voigtländer, Rollei 70iger Jahre. Ist das 2.8 35mm Distagon baugleich mit dem Voigtländer Color-Skoparex? Und zwar sowohl in QBM-Mount als auch in M42? Und funktioniert an einer Pentax SV die Springblende? Oder nur Arbeitsblendenmessung. Das in vergleichbaren Fragen sonst so hilfreiche Netz schweigt. Nur ein Alfred auf Flickr schreibt etwas dazu. Der Eintrag ist 13 Jahre alt. Ich recherchiere das, nachdem ich das Objektiv gekauft habe. Holy.
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„Man muss den Phänomenen ohne Scheu ins Auge blicken können, eine andere Wirklichkeit gibt es nicht.“ Harald Fricke, Texte 1990-2007, S. 93.
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(Die) Elstern machen Lärm, aber ich sehe sie nicht. Gestern hatte sich ein Mäusebussard schräg am Nest festgekrallt, er wurde sofort von einer Krähe verjagt, zwei Minuten später flogen die Elstern, die über einen Tag lang nicht aufgetaucht waren, ins Nest. Keine Ahnung, was da abgeht.
Merz wurde im zweiten Durchgang gewählt. Söder hatte zuvor eine pathetische Rede gehalten. Auf X veröffentlicht er Teile der Rede im Wortlaut: „Noch ist alles lösbar und heilbar. (…) Das Scheitern des demokratischen Prozesses könnte ein schlimmer Vorbote für Verhältnisse wie in der Weimarer Republik sein. Dazu darf es nicht kommen. Deshalb sollten nun alle Parlamentarier nochmal ruhig und vernünftig abwägen, was auf dem Spiel steht.“ Er performt den Staatsmann, es ist sehr lächerlich.
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Indien fliegt Luftangriffe, Pakistan schießt Flugzeuge ab. Ich wusste nicht, dass auch Gilgit-Baltistan Teil der umstrittenen Region Kaschmir ist. Obwohl T. und ich dort waren. In Gilgit, in Aliabad und Karimabad. Ich staunte über das Licht, das leuchtende Grün der Hänge, das türkise Wasser des Hunza, im Hintergrund türmte sich Rakaposhi 7788 Meter hoch auf. Schräg gegenüber, auf der anderen Seite des Tals lag Bublimotin, der auch Ladyfinger genannt wird. Ein Mann, der uns nach Gilgit zurückfuhr, erzählte, dass viele Menschen beim Versuch Ladyfinger zu bezwingen, ihr Leben verloren haben. In einem Reddit-Thread schreibt der User Expensive-Tell6289 : “It’s finger like shape happened to be very difficult to climb by many climber. Some people also say that’s it’s haunted and climbers hear strange voices.”
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„Man muss führen wollen“, sagt Peter Leibinger, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) im Deutschlandfunk. Das ist ein in diesen Zeiten völlig normaler Satz. Und Leibinger klingt ruhig, überlegt und sympathisch. Das macht Sinn. So wie die Dinge im politischen Berlin gerade stehen, muss die relevante Stelle der Macht weder herabsetzend noch drohend sprechen. Sondern selbstsicher, was Selbstkritik beinhaltet. Merz wird in ein paar Minuten Kanzler sein, Klingbeil ist dort angekommen, wo er hinwollte, Dobrindt spricht sich gegen eine pauschale Behandlung von AfD-Beamt*innen aus, während in Bayern eine Lehramtsstudentin nicht zum Referendariat zugelassen wird, weil sie über die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) gesagt hat, diese ist ein „Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima“. Der Begriff „Profitmaximierung“, so die bayerische Argumentation, sei marxistisches Vokabular. Wer führen wollen will hat ein reines Herz und weiß, dass er mit Spahns und Söders strategischer Unterwürfigkeit allzeit rechnen kann. Blau-Schwarz here we come.
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Despentes lässt die sprechen, die den Ton angeben: „Glaubst du, wir haben Zeit unser eigenes Arschloch zu inspizieren und uns zu fragen, ob es in Ordnung ist? Wer ist der Stärkste? Der Schnellste? Das ist die einzige Frage. (…) Für den Krieg muss niemand Literatur und Mathe lernen. Das würde die Wirtschaft wieder in Gang bringen! Ein Krieg. Aber gebildete Arbeitslose – ganz ehrlich, was für ein Schwachsinn.“ (S.223 f.)
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Und Riechelmann schreibt über den schlechten Ruf der Elstern: „Über Elstern wird vermutlich noch mehr Unfug geredet als über Drogen unter Drogenbenutzern oder über die Wirtschaft in der sogenannten Krise unter Journalisten.“ (S.47)
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Merz ist im ersten Wahlgang durchgefallen.
Die Luft ist kühler als in den letzten Tagen. Die Elstern sind kaum noch zu sehen. Haben sie das Nest verlassen? Oder brüten sie? Wahrscheinlich bauen sie ihr Nest woanders. Die Krähe war aufdringlich. War es dieselbe Krähe, die vor drei Jahren die Amselküken aus dem Nest geholt und gefressen hat? Sind solche Gedanken irre oder fragen sich das andere auch? Ich habe gelesen, dass Krähen sich Menschen aussuchen. Sie entscheiden, ob sie einen Menschen in ihr Leben lassen. Wie kommen sie zu ihrer Entscheidung. Mögen sie, wie ein Mensch sich bewegt? Mögen sie die Stimme eines Menschen? Mögen sie sein Outfit? Beobachten sie den Mensch in der Interaktion mit anderen Menschen? Ich denke an ein Buch und drehe mich um. Und wirklich, Riechelmanns „Krähen“ steht da, wo Bücher von Autor*innen stehen, deren Name mit einem R beginnt. Ich kann es nicht glauben und blicke zweimal hin. Ich nehme das Buch aus dem Regal, schlage eine beliebige Seite auf. Riechelmann schreibt über den Grünhäher: „Sie genießen einen guten Ruf, auch als sehr genaue Menschenbeobachter.“ (S. 114) Kein Witz.
Bereits die Formulierung „Zum Weltgeschehen habe ich nichts zu sagen“ (03.05.) ist lächerlich. Precht würde so etwas von sich geben. Und erwartungsvoll mit den Augen klappern. Bis irgendein Redakteur anruft und sagt: „Aber das Weltgeschehen braucht Sie!“ Halb ironisch und doch ganz ernst.
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Lese Popitz („Wege der Kreativität“) und endlich die Triologie Despentes‘.
„Aber natürlich sind alle links … das wird ihnen schon vergehen. Jeder streckt sich nach der Wurst so einfach ist das. Jetzt, wo die mitkriegen, dass die Subventionen bald von den Ultrarechten kommen, ich wette, was du willst, dass sie ratzfatz den Ton ändern – dieses Pack hängt doch immer das Mäntelchen in den Wind. Gib ihnen vier, fünf Jahre, dann präsentieren dir dieselben, die heute das Lied des armen Flüchtlings singen, Meisterwerke über jüdische Banker, diebische Roma und gierige Russen. Sie passen sich an, da mache ich mir keine Sorgen.“
Das lässt Despentes einen rechten Kumpel Vernon Subutex‘ sagen. Da spricht ein bitterer, rechter Drehbuchautor. Was er sagt, ist nicht ganz falsch. Der Opportunismus der Sprösslinge ist atemberaubend. Meine eigene Hemmung klar zu denken und zu sprechen auch. Ich erinnere mich an einen Workshop, an dem K., Professorin für Soziologie und Kriminologie, teilnahm. Wir stimmten in wesentlichen Punkten überein, aber sie störte meine Sprache mit Netz und doppeltem Boden. Die gleiche Reaktion kam von L., Professorin für Soziologie, und B., Professorin für Soziologie sozialer Differenzierung und Soziokultur. Alle drei Anfang der 60iger geboren, in den 70- und 80igern politisch sozialisiert. Und in den 20igern des sogenannten Neuen Jahrtausends? Die Schnauze voll. Von was? Das, um das sie kämpfen mussten, ist eine Karte im Machtspiel geworden. Die von denen gespielt wird, die „bespielen“ sagen und das auch so meinen. Ich bespiele das Thema soundso, ich bespiele das Thema soundso. Und als Ratschlag an die jungen Forscher*innen: Das Dekanat muss wissen, dass du sprechfähig bist.
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Der Himmel ist wolkenverhangen. Die Elstern verjagen eine Krähe.
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Meine Sätze zerfasern wie zu lange gekauter Kaugummi im Mund.